Warten in einer warmen Stube bis zur Zugabfahrt
Einrichtung der Caritas ist täglich außer am Wochenende geöffnet - Mitarbeiter erledigen vielfältige Aufgabe
In wenigen Minuten kommt die Regionalbahn Halle-Wittenberg in Bitterfeld an. Eisiger Wind pfeift über den Bahnsteig, auf dem Petra Gerst wartet. Und mit ihr eine junge Frau mit einem Kinderwagen und einigen Gepäckstücken. Petra Gerst, die Frau mit der blauen Jacke, die das Symbol der Bahnhofsmission trägt, wird ihr gleich helfen, mit allem in den Zug zu kommen. "Gut zu wissen, dass man hier in Bitterfeld so 'ne Hilfe hat", sagt die junge Frau.
Das empfinden auch andere so, die auf die Hilfe der Mitarbeiter der Bahnhofsmission angewiesen sind. Zu den Aufgaben der fünf gehört es, Reisenden beim Umsteigen zu helfen, Rollstuhlfahrern zur Seite zu stehen, älteren oder gehbehinderten Leuten das Gepäck abzunehmen, allein reisende Kinder in Empfang zu nehmen und zum nächsten Zug zu bringen, Fahrpläne zu "übersetzen", Auskünfte zu geben und anderes mehr. In den Räumen der Bahnhofsmission, die sich am linken Seiteneingang des Bahnhofsgebäudes befindet, können sich Reisende aufwärmen, wenn der Zug Verspätung hat oder der Anschluss gerade nicht hinhaut. Auch Bedürftige finden den Weg hierher, denn hier gibt es immer einen heißen Tee und oftmals auch ein Stück Kuchen dazu - zwei Bäcker unterstützen das Angebot der unter der Trägerschaft der Caritas stehenden Einrichtung.
In diesen Tagen, in denen das Thermometer auf Dauerbetrieb Frost steht, kommen allerdings nicht mehr Leute als sonst üblich. Das wundert auch die Mitarbeiter der Bahnhofsmission selbst. Vielleicht wissen es ja nur wenige Reisende, dass es sie gibt, mutmaßt
Birgit Richter, die den Einsatz der fünf Mitarbeiter, die über ein Arge-Projekt eingestellt sind, koordiniert. Dabei ist Bitterfeld eine von fünf Bahnhofsmissionen in Sachsen-Anhalt. In ganz Deutschland gibt es über 100. "Aber was sich jetzt noch ganz ruhig anlässt, das kann schon in der nächsten Minute in völligen Betrieb übergehen", gibt Evelyn Müller zu bedenken. Sie hat ihre Erfahrungen, sie gehört mit Birgit Richter zu denen, die die Bitterfelder Bahnhofsmission, die es bis in die 50er Jahre hinein gab, 2008 wieder mit aufgebaut haben. Jörg Vibrans, Leiter des Caritas-Beratungsbüros Bitterfeld und damit auch der Mission, lobt nicht nur die Arge, die "Verlässlichkeit geschaffen" hat sondern auch seine Mitarbeiter, die "ihren Aufgaben mehr als gerecht werden".
Birgit Richter holt ein Buch hervor. Das wird gehütet wie ein kleiner Schatz. Und das ist es gewissermaßen auch. Denn hier haben mehrere Bürger schon mit Dank darüber berichtet, wie ihnen geholfen wurde. Evelyn Müller, freut sich jedes Mal, wenn sie da reinschaut. "Unsere Frau Lehmann hat damit angefangen", sagt sie und erzählt von der älteren Dame aus Leipzig, die zwei Mal im Jahr mit dem IC Richtung Küste fährt und in Bitterfeld umsteigen muss. Immer wendet sie sich an die Frauen und Männer der Bahnhofsmission. "Wir warten schon auf sie und sie freut sich, wenn sie mal wieder bei uns ist und mit uns erzählen kann."
Mit den Leuten reden, ihnen zuhören, hier und da ein nettes Wort oder einen Rat geben - auch das sehen die Mitarbeiter als ihre Aufgabe. "Wir arbeiten hier nicht nur Aufträge ab, die wir über die Zentrale kriegen", so Frau Müller, "wir gehen auf die Leute zu. Woher sollen Fremde wissen, dass es uns gibt? Natürlich kommt es auch mal vor, dass einer schlechte Laune hat, wenn der Zug nicht fährt. Mit dem muss man auch reden. Und wer das nicht will oder kann, der ist hier falsch." Sie und Birgit Richter, Petra Gerst, Inge Plahusch und Jürgen Heinecke können das. Nicht nur, weil sie eine entsprechende Ausbildung haben, sondern weil sie ihre Arbeit mit dem Herzen tun.
Sie alle sind in einem anderen Beruf groß geworden - Birgit Richter beispielsweise war Lehrausbilderin, Evelyn Müller Maschinistin. Irgendwann standen sie auf der Straße und haben um einen neuen Anfang gekämpft. "Deshalb verstehen wir es vielleicht besser, gerade mit den Bedürftigen, die auch zu uns kommen, umzugehen. Das kommt von innen her", meint Frau Müller. "Wir sind ja auch froh, wenn uns jemand hilft. Und als wir damals erfahren haben, dass wir nach einer Pause hier weitermachen können, da waren wir glücklich." Für Birgit Richter fügt sich mit jedem Tag, an dem sie helfen konnte, mit allem, was sie neu lernt und den Leuten, denen sie begegnet "ein Teilchen zum anderen", um selbst Freude und Bestätigung finden zu können.
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Foto: André Kehrer/MZ Evelyn Müller (l.) und Inge Plahusch von der Bahnhofsmission helfen Inge Vöge auf dem Bitterfelder Bahnsteig. |
Mitteldeutsche Zeitung, Bitterfeld/MZ, Christine Krüger, Ausgabe 08.01.2010