Die Zörbiger Saftbahn

Pressemeldung vom 12.10.2002


Es rollt kein Zug nach nirgendwo

Obwohl auf einer Bahnlinie bei Bitterfeld der Verkehr eingestellt ist, wird eine Brücke über die Gleise gebaut



Auf dem Weg zur Arbeit muss Roland Kliemann sich zurzeit jeden Tag ärgern. Kurz bevor der Zahnarzt seine Praxis in Sandersdorf (Kreis Bitterfeld) erreicht, passiert er mit dem Auto eine Brückenbaustelle. Auf der Überführung soll später die Bundesstraße 183 die Bahnlinie Bitterfeld – Stumsdorf überqueren. Die Sache hat nur einen Haken: Auf der Nebenstrecke fährt seit Ende September kein Zug mehr. Wozu also eine Brücke? Fragt sich nicht nur Kliemann. Sein Urteil: "Das ist Verschwendung von Steuergeldern."

Der Sandersdorfer Bürgermeister Wolfgang Thiel denkt nicht anders. Der CDU-Mann hat deswegen sogar einen Brief an den Magdeburger Verkehrsminister Karl-Heinz Daehre geschrieben. Die Antwort des Parteifreundes lässt Thiel resignieren. In dem Schreiben aus Magdeburg heißt es, der Auftrag für den Brückenbau sei vor einer Entscheidung über die Abbestellung des Personenverkehrs auf der Bahnstrecke erteilt worden. "Nämlich im Mai. Am 9. Juli hat das Kabinett aber erst die Abbestellung beschlossen", ergänzt Ministeriumssprecher Harald Kreibich. Und bei einem Baustopp drohe eine Vertragsstrafe.

"Natürlich ist es jetzt längst zu spät", weiß ach Thiel. "Schließlich stehen schon die Fundamente". Doch dass die Bahnstrecke keine große Zukunft habe, das sei dich klar gewesen, erregt sich der Bürgermeister. "Da hätte man sich früher einigen können. Umplanen wäre bestimmt billiger gekommen." Diese Frage stellt sich aus Sicht des Verkehrsministeriums indes nicht. Der Grund ist ein feiner rechtlicher Unterschied: Zwar hat das land den Verkehr auf der 19,7 Kilometer langen Trasse abbestellt, damit ist die aber noch nicht automatisch stillgelegt. "Man kann nicht einfach die Gleise abbauen", sagt Kreibich. Es könne ja sein, dass man in fünf Jahren wieder ganz anders denkt oder dass sich ein privater Betreiber für den Zugverkehr findet. Deshalb sei der Brückenbau sinnvoll: "Die Bahn AG hat ein Anrecht darauf, ihr Netz zu nutzen."

Doch in diesem Fall hat die Bahn daran gar kein Interesse mehr. "Die Strecke ist bis zum 16. November ausgeschrieben", sagt der hallische Bahnsprecher Jörg Bönisch. Das sei Vorraussetzung für ein Stillegungsverfahren. Finde sich bis dahin kein Interessent, werde die Bahn beim Eisenbahnbundesamt die Stilllegung beantragen. "Was sollen wir denn sonst machen?" Güterverkehr gibt es auf der Strecke schon lange nicht mehr.

Kreibich beziffert die Baukosten für die Brücke auf 600.000 Euro. "Das Geld hatte man sich viel besser verwenden können", ärgert sich Zahnarzt Kliemann. In seiner Heimatstadt Jeßnitz gebe es noch einige sanierungsbedürftige Straßen. "Die zeige ich den Herren aus Magdeburg gerne mal".

Mitteldeutsche Zeitung

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